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Traumdeutung


Freud bezeichnete die Traumdeutung als den Königsweg zur Erkenntnis des Unbewussten. Die moderne Psychoanalyse hat entdeckt, dass ein Teil unserer Persönlichkeit im Verborgenen liegt und sich unserem Bewusststein entzieht. Dies ist vergleichbar mit der sprichwörtlichen Spitze des Eisberges: nur der Teil, der über der Meeresoberfläche hinausragt,  ist sichtbar. Unbewusst heisst aber nicht wirkungslos. Genauso wie die bewussten Anteile fordern auch die nichtbewussten Anteile der Persönlichkeit die Möglichkeit ein, sich auszudrücken, da die Person eine Ganzheit ist. Die unbewussten Anteile werden aber von der Struktur des Bewusstseins nicht erkannt, und es kommt folglich zu diversen Störungen im Alltag, was vom Versprecher über Versehen bis zur neurotischen Störung gehen kann.
Das bewusste Ich ist die Persönlichkeit, die sich im Laufe der Kindheit, unter Beeinflussung der vorherrschenden kulturellen Werte - von den Eltern vermittelt - herausgebildet hat. Insbesondere handelt sich um Moral- und Wertvorstellungen, von dem „was sich gehört“ und nicht gehört. Aber es kann sich auch um traumatische Erlebnisse handeln, welche damals die Existenz des Kindes bedrohten und - sozusagen als Überlebensstrategie - vom Bewusstsein abgespaltet wurden. Nun kann es sein, dass das bewusste Ich dem wirklichen Ich nur teilweise entspricht, und dass es gewisse Eigenschaften, Wünsche und Gedanken gibt, welche den Moralvorstellungen des bewussten Ichs (das Überich, gemäss Freud) nicht entsprechen und ein Untergrunddasein fristen.
 
Das Ziel der Yogapsychologie ist eine Integration der gesamten Persönlichkeit, was zeitweise mit einem schmerzhaften Erweiterungsprozess des Bewusstseins verbunden ist. Schmerzhaft, weil dies in der Natur von Wachstumsprozessen liegt und auch weil die damals unterdrückten Erfahrungen wieder ins Bewusstsein vordringen. Es geht darum, die von Aussen aufgezwungenen Wertvorstellungen - wie zum Beispiel in Bezug auf die Sexualität und die Religion - zu überwinden und zu einer eigenen Beurteilung zu gelangen. Dieser Prozess wird in der Yogapsychologie als Chitta-shuddhi bezeichnet.
 
Im Traumzustand sind wir von den Begebenheiten und Anforderungen der Aussenwelt abgeschnitten. Wir treten nicht mehr in Beziehung zu Menschen, Objekten oder Ereignissen der Aussenwelt, sondern tauchen in einer Daseinsform ein, in der wir ganz und gar nur uns selber erleben. Gewiss, auch im Traum finden sich Personen, Gegenstände und Ereignisse vor, diese sind aber Teile unseres Selbst, welche der Traum als Regisseur in einer Geschichte zusammengewoben hat. Im Wachzustand leben wir in den Kategorien von Raum und Zeit, im Traum in denjenigen der Assoziation und Intensität. Oftmals gelingt es uns nur mit Mühe, die Erinnerung des Traumes abzurufen; kaum möchte man sie fassen, schon entzieht sie sich unserem Gedächtnis. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Erlebniskategorien des Wach- und des Traumzustandes nicht dieselben sind. Um das Traumgeschehen besser festzuhalten, empfiehlt sich eine bestimmte Disziplin: das Aufschreiben des Traumes unmittelbar nach dem Erwachen. Dies gilt auch für die freien Assoziationen im Zusammenhang mit dem Traum. Mit der Zeit gelingt es, mehr von den Trauminhalten aufzufangen.
 
Die Träume sind wichtig, weil sie uns eben gerade diejenigen Wesenszüge offenbaren, die nicht zu unserer bewussten Persönlichkeit passen und vom bewussten Ich verdrängt werden. Traumarbeit ist deshalb Integrationsarbeit. Wenn wir aber im Traum eine von uns geliebte Person Schaden zufügen, heisst dies selbstverständlich nicht, dass dies im Wachzustand umgesetzt werden muss. Der Traum lehrt uns lediglich, dass wir in Wirklichkeit gegenüber der vermeintlich geliebten Person auch feindselige Gefühle hegen. Herauszufinden, warum dies so ist, ist Teil der Traumaufbereitungsarbeit. Dies ist ein wichtiger Teil des Bewusstwerdungsprozesses, da uns der Traum zu uns selber zurückführt. Der Traum fungiert als Wegweiser, als guter Freund, der uns Empfehlungen abgibt. Er gleicht Unausgeglichenes wieder aus, weist auf Unterlassungen hin, korrigiert Fehleinschätzungen. Seine Funktion ist deshalb auch, uns zu unserem Svadharma, unserer eigenen Bestimmung, zurückzuführen.
 
Im Traum nehmen Gefühle Gestalt an, oftmals in Form von Tieren. Tiere eigenen sich gut, um gewisse Eigenschaften darzustellen, da sie mit ihren Instinkten der Wirklichkeit näher sind als der Mensch, und diese somit authentischer verkörpern können. Aus diesem Grund sind für die Traumdeutung gute Kenntnisse der Biologie notwendig. Als weitere Themen sind Naturelemente wie Feuer, Wasser und Erde zu erwähnen, welche - je nach Situation - lebensspendend oder bedrohlich sein können. Aber auch moderne technische Erfindungen wie das Auto können im Traum als Symbol Anwendung finden. In gewissem Sinn kann das Auto mit seiner Schutz- und Freiheitssymbolik als Symbol des Ichs interpretiert werden.
 
Die Mandukya Upanishad geht dem Daseinszustand des Traumes auf den Grund. Im Traumzustand sind wir felsenfest davon überzeugt, in einer realen Welt zu leben. Nur beim Aufwachen stellen wir - manchmal mit Erleichterung - fest, dass wir „nur geträumt haben“. Und dann ist der ganze Spuk vorbei, auch die dramatische Verfolgungsjagd, so kurz von dem Ende, auch die von Sonnenschein getränkte Blumenwiese, Hand in Hand mit dem Geliebten... Die Erleuchtung (Moksha) wird als Erwachen gegenüber dem so genannten Wachzustand beschrieben, in der gleichen Art und Weise wie das Erwachen gegenüber dem Traumzustand geschieht - ein höchst mysteriöser Vorgang.