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GESELLSCHAFTEN IM VERGLEICH
Schlussfolgerung

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Der französische Schriftsteller André Malraux schrieb einmal: "Das einundzwanzigste Jahrhundert wird spirituell sein, oder es wird nicht sein". Inwieweit der moderne Mensch sich darunter etwas vorstellen - geschweige denn umsetzen – kann, sei dahingestellt. Wir sind so intensiv materialistisch geworden, dass die Lehre, welche uns das Vedanta und die Yogapsychologie vermitteln, kaum noch zu verstehen ist. Die Verstrickung in den Zwängen unserer schillernden Konsumwelt lässt kaum noch Zeit zur Besinnung zu. Sind wir noch in der Lage uns vorzustellen, dass der Lebenssinn etwas anderes sein könnte als Konsum, Karriere und Sinnesbefriedigung?

Gemäss den indischen Überlieferungen befinden wir uns gegenwärtig in der Epoche des Kali -Yugas, dem Zeitalter der Finsternis. Ein einfacher Schlüssel, um unsere aktuelle Weltordnung aus diesem Blickwinkel zu verstehen, ist, diese als das Gegenteil einer spirituellen Ordnung zu betrachten. Es ist nicht so, dass Geld-, Wunsch-, und Machtbefriedigung aus Sicht der Spiritualität grundsätzlich verpönt sind. Diesen menschlichen Bestrebungen wird im Varnashrama-Gesellschaftssystem gebührend Rechnung getragen. Es gibt in der indischen Literatur sogar Fachbücher, die in diesen Bereichen Wissen vermitteln, wie zum Beispiel das im Westen bekannte Kamasutra. Auch die erotischen Fresken der Kajuraho-Tempel in Südindien weisen auf alles andere als ein gespanntes Verhältnis zu den Lebensfreuden hin. Die Lebensziele Arhta und Kama sind jedoch nur im Rahmen von Dharma gerechtfertigt, in der Bestrebung, diese nicht ins Grenzenlose ausufern, sondern in einer höheren Bestimmung aufgehen zu lassen. Das Ego soll sich nicht ins Endlose aufblähen. Es soll seinen berechtigten Teil ausleben, dies aber mit dem Ziel, letztendlich zu verschwinden.

Unsere Konsumgesellschaft basiert auf das gegenteilige Prinzip: Von diversen Forschungsanstalten wird regelmässig die „Konsumenten-stimmung“ erhoben, eine Messgrösse, die Auskunft über die Konsumfreudigkeit der Verbraucher gibt. Eine steigende Konsumentenstimmung wird als positiv betrachtet, denn sie verheisst Wirtschaftswachstum. Konsumieren wird in Krisenzeiten schon fast als Bürgerpflicht betrachtet. Von der Werbebranche wird alles unternommen, um die Konsumentenstimmung anzuheizen. Dies beginnt bereits bei den Kindern. Es wird einem suggeriert, die angebotenen Produkte seien für Erfolg und Wohlbefinden unabdingbar. Ganze Werbeabteilungen von Unternehmungen sind damit beschäftigt, die Konsumenten abhängig – ja, teilweise sogar süchtig - zu machen. Die treibende Kraft der Weltwirtschaft, die Börse, wird von zwei der primitivsten menschlichen Emotionen regiert: Angst und Gier. Obwohl alle grossen Weltreligionen die Erhebung des Zinses verurteilt haben, steht dieser im Zentrum des globalen Finanzcasinos. Wir leben im Zeitalter des Wettbewerbs,  des „Jeder gegen Jeden“. Der Auslandkorrespondent der „New York Times“, Thomas L. Friedmann, Autor des Buches „Globalisierung verstehen“, vertritt die Auffassung, dass im Zeitalter der Globalisierung nur die Schizophrenen überleben werden. Keine sehr rosigen Aussichten! 

Wie kann man verstehen, dass Herr und Frau Schweizer trotz Erdölknappheit und Klimaerwärmung beim Autokauf nicht den geringen Energieverbrauch oder den tiefen Preis in Erwägung ziehen, sondern sich in erster Linie für ein grosses Fahrzeug entscheiden? Und wie kann man nachvollziehen, dass die meisten Bürger annehmen, Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Invalidität seien Risiken der Anderen, welche dem Tüchtigen und Erfolgreichen erspart bleiben? Auch für winzigste Schritte, welche z. B. die Grundlage für eine nachhaltigere Energieversorgung legen könnten, ist die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer nicht bereit, ein noch so geringes Wohlstandsopfer zu bringen. So wurden in der eidgenössischen Abstimmung vom 24. September 2000 der Klimarappen sowie eine äusserst bescheidene Energielenkungsabgabe für die Umwelt mehrheitlich verworfen. Unsere Gesellschaft hat ein Mass an Verantwortungslosigkeit, Oberflächlichkeit und Ignoranz erreicht, über das wir uns schämen würden, wären wir nicht dessen unbewusste Opfer.

Wir haben es gewissermassen geschafft, uns in der Hölle häuslich einzurichten… Dies macht es für den Schweizer Bürger umso schwieriger, sich bewusst zu werden, auf welch dünnem Eis er sich gesellschaftlich bewegt. Durch die Globalisierung wurde die wirtschaftliche Abhängigkeit unseres Landes gegenüber dem Ausland erheblich verstärkt. In der Schweiz werden nur noch 60% des Bedarfs an Kalorien produziert, nur 20% des Energiekonsums wird durch einheimische Produktion gedeckt. Dies hat zur Folge, dass weltweite Ereignisse, wie z. B. eine plötzlich auftretende Erdölverknappung oder ein Börsencrash, unmittelbare Auswirkungen auf unseren Alltag haben. Instabilitäten, Unruheherde, Konfliktpotentiale gibt es genug auf dieser Welt. Andererseits könnte es aber auch sein, dass wir Schweizerinnen und Schweizer – zumindest teilweise – von Krisen verschont bleiben – ja sogar davon profitieren könnten! Bei aufkommenden Gefahren ist ein Land, in dem Ruhe und Ordnung herrschen, von einer verunsicherten Finanzwelt sehr gefragt!