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GESELLSCHAFTSANALYSE:
Der Schweizer Arbeitsmarkt


Der Arbeitsmarkt hat sich in der Schweiz seit Beginn der neunziger Jahre rasant verändert. Erstmals stieg 1997 die Arbeitslosigkeit auf 5.7% an. Im Zuge der Globalisierung traten plötzlich neue Anbieter mit Billigprodukten auf den Markt. Die Branche der Informationstechnologien erlebte einen Boom. Nach dem Strukturwandel des Agrarsektors erfuhr in der Schweiz auch der Industriesektor einen massiven Abbau zu Gunsten des Dienstleistungssektors. Diese Entwicklung hält heute noch an und kann in ehemaligen Industriequartieren einiger Grossstädte wie Zürich und Winterthur sinnlich erfahren werden: Giessereien und Schwerindustrie weichen luftigen Lofts und modernen Bürobauten. Arbeitsplätze mit einfachen Routinearbeiten - von unqualifizierten Arbeit nehmenden  verrichtet - nehmen stark ab. Aufgrund dieser Veränderungen steigen die Anforderungen an die Arbeitnehmer. Gefragt wird nebst den Fachkompetenzen vermehrt auch erweiterte Grund-, sowie Methoden- und Sozialkompetenzen. Die Fachkompetenzen betreffen das eigentliche Fachwissen im Beruf. Grundkompetenzen beziehen sich auf allgemeine Fertigkeiten wie Rechen- und Schreibkompetenz, mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Kenntnisse von Fremdsprachen, Vertrautheit mit Computern. Unter Methodenkompetenz versteht man die Fähigkeit, sich neue Kenntnisse, Fertigkeiten und Methoden selbständig anzueignen sowie Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Soziale Kompetenzen beziehen sich auf persönliche Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Flexibilität, Kritikfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Unter diesem Begriff werden aber noch subtilere Eigenschaften genannt, wie Anpassungsfähigkeit gegenüber verschiedenen Menschen und Situationen, Fähigkeit, Lösungen auszuhandeln, persönliche Beziehungen zu knüpfen, die Anliegen anderer zu entdecken und zu verstehen, Vertrauen aufbauen und erhalten zu können, Widersprüche ertragen zu können, Selbstbewusstsein im Sinn von "sich über sich selber bewusst zu sein" entwickeln (Quelle: Alpha-Artikel vom November 1997). Bezugnehmend auf den Text "Bewusstseinsentwicklung" ist schnell erkennbar, dass man hier nicht mehr allzu weit von der Praxis des Yoga-Weges entfernt ist...

Vom heutigen Arbeitsuchenden wird also einiges abverlangt. Da zudem erlerntes Wissen wie nie zuvor schnell veraltet, ist permanente Weiterbildung unabdingbar, um für den Arbeitsmarkt fit zu bleiben. Die gestiegenen Anforderungen haben ihren Niederschlag im neuen Berufsbildungsgesetz 2004 gefunden: sämtliche berufliche Ausbildungen werden neu gestaltet und auf Erwerb und Evaluation der geforderten Kompetenzen ausgerichtet. Es scheint paradox zu sein, dass soziale Kompetenzen im Wirtschaftsgeschehen der heutigen Zeit eine solch wichtige Rolle spielen, werden im globalen Wettbewerb doch oftmals Härte und Rücksichtslosigkeit verlangt. Es ist auch nicht einfach herauszufinden, wie ernst man es meint, bzw. wie authentisch die Kompetenzen zu sein haben. Wird von einem Arbeitnehmer die Fähigkeit, Anliegen anderer Menschen zu entdecken und Vertrauen aufzubauen, verlangt, ist einem nicht klar, ob dies als menschenfreundliche Haltung zu verstehen ist oder aber als raffinierte Technik, das Geschäft zu seinen Gunsten abzuwickeln, bzw. den Anderen über den Tisch zu ziehen. Der Gipfel der Zweideutigkeit beinhaltet jedoch das Wort "Flexibilität". Eine Mitarbeiterin, die sich gegen eine Verschlechterung ihrer Arbeitsverhältnisse wehrt, wird als "wenig flexibel" qualifiziert, während ein Mitarbeiter, der jeden Unfug im Betrieb mitmacht, als "flexibel" beurteilt wird. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Einschätzung auf Lohn und Karriere auswirkt! Zudem fällt auf, dass Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit oder Zivilcourage nicht zu den geforderten Sozialkompetenzen gezählt werden. Warum wohl nicht? Es gibt genügend Fallbeispiele die aufzeigen, wie unangenehm es für Mitarbeitende werden kann, die diese Eigenschaften aufweisen (Meier 19, Zürcher Klärschlammaffäre, Berner Finanzskandal...).

Wenn es eine grosse Veränderung auf dem Arbeitsmarkt in den letzten Jahren gegeben hat, dann könnte man diese auf nachfolgende Aussage subsumieren: "man weiss nicht mehr recht, was gilt, und überhaupt, sollte man es heute wissen, könnte es gut sein, dass es morgen anders ist". Eine solche Situation erfordert grosse Achtsamkeit, man ist gezwungen, sich konstant neu zu situieren, das Handeln entsprechend auszurichten, wobei zu viel Idealismus einem zuletzt wohl schaden kann. Das Verständnis der Arbeitswelt und unserer Rolle in ihr ist in ihrem Wesen nicht anders als das Verständnis der Wirklichkeit, in der wir leben. Yoga befasst sich nicht nur mit dem Verständnis der eigenen Psyche (Adhyatma), sondern auch der Aussenwelt (Adhibhuta) sowie dem übergeordneten Verbindungsprinzip (Adhidaiva). Yoga ist Geschicklichkeit im Handeln. Die Probleme in der Gesellschaft, in der Arbeitswelt, in Beziehungen sind Probleme, die uns unmittelbar, vital, betreffen. Sie sind Teil unseres Selbst. Ist Yoga nun in der Lage, uns Antworten auf unsere Probleme in der Arbeitswelt zu liefern? Es geht vor allem darum, zu verstehen, was passiert, Dinge richtig einzuordnen, und dann die adäquate Haltung einzunehmen, den richtigen Entscheid zu treffen. "Gib uns den Mut zu ändern, was wir ändern können, die Kraft, zu ertragen, was wir nicht ändern können und die Weisheit, zwischen Beiden zu unterscheiden" ist ein Gebet, welches in manch einer Lebenssituationen Gültigkeit hat.