
Die Urvölker der Andamanen Inseln
In der heutigen Welt gibt es eine grosse Anzahl von wenig bekannten primitiven Stämmen, die vom Aussterben bedroht sind. Alleine in Indien gibt es davon mehrer Hunderte. Warum sollte man sich speziell für die kleinen (bezüglich körperlicher Grösse wie auch derer Anzahl) Andamanern interessieren? Die Andamaner sind in jeder Hinsicht so aussergewöhnlich, dass gerade auch die Tatsache, dass sie so wenig erforscht und sogar von Fachleuten wenig bekannt sind, nahtlos in die Reihe der Mysterien passt, von denen sie umgeben sind. Die "Negritos" der Andamanen sind die heute noch lebende Menschengruppe mit den eigenartigsten genetischen, kulturellen, linguistischen und sozialen Eigenschaften. Keine andere menschliche Population kann eine derart lang andauernde Isolation von anderen kulturellen Gruppen vorweisen. Sie gelten als die am wenigsten veränderten Überlebenden der ersten Einwanderer von Homo Sapiens in Asien. Von den heute noch lebenden Naturvölkern stellen sie die archaischste menschliche Lebensweise dar.
Niemandem ist es gelungen, mehr als nur kurzen und meist distanzierten Kontakt zum Stamm der Sentineli herzustellen. Bis heute sind sie das isolierteste und unbekannteste Volk der Welt. Versuche von „Freundschaftsbesuchen” mit Geschenken (Kokosnüsse, die ihnen von Booten aus zugeworfen oder an ihren Strand geworfen wurden, wie in dieser Videosequenz zu sehen) haben über die Jahre zu nichts geführt. Die Sentineli bleiben selbstbewusst, autark und unnahbar. Seit dem Tsunami an Weihnachten 2004 hat sich diese Haltung noch verstärkt.
Das Archipel der Andamanen besteht aus mehr als 200 Inseln und bedeckt eine Fläche von 8'300 Quadratkilometern, was etwa der Grösse Zyperns entspricht. Zusammen mit den Nicobaren bildet es einen Inselbogen in der bengalischen Bucht, von Myanmar im Norden bis zur indonesischen Insel Sumatra im Süden. Heute sind die Andamanen Teil der indischen Union, und die andamanesischen Ureinwohner oder "Negritos" sind indische Staatsbürger, obwohl sie sich dessen nicht bewusst sind. Seit Jahrzehnten existiert ein Streit zwischen den indischen Behörden, Politikern, Richtern und Anthropologen, ob die Negritos in den "indischen Mainstream" zu integrieren oder in ihrer Lebensweise zu belassen seien. Die erste Variante würde für diese kleinen Menschengemeinschaften ohne Zweifel den kulturellen und physischen Tod bedeuten. Aufgrund neuester Gerichtsentscheide besteht jedoch Hoffnung, dass die zweite Option Oberhand gewinnen wird. Es gibt heute noch weniger als 500 andamanesiche Negritos, während die indische Bevölkerung in letzter Zeit die Milliardenmarke erreicht hat. Mit Sicherheit wird die indische Zivilisation überleben, auch wenn die 500 Negritos ausserhalb der mainstream Kultur verbleiben.
Die kleinen, pechschwarzen Pygmäen der andamanesichen Inseln waren seit den frühesten Zeiten bekannt und gefürchtet. Ihre Nachbarn nannten sie "Affen" oder "Hanuman Menschen", nach dem indischen Affengott Hanuman. Ein anderer gebräuchlicher Name war "Rakshasas", Dämonen oder Kobolde der indischen Mythologie. Der Name "Andaman" selber wurde zum ersten Mal im 9. Jahrhundert erhoben und führt mit Sicherheit auf Hanuman zurück. Die Kombination verschiedener Faktoren wie gefährliche Korallenriffe, ein unerbittliches Klima, die grausame Feindseligkeit der Negritos gegenüber Eindringlingen scheint der Grund dafür gewesen zu sein, dass diese Inselgruppe über Jahrtausende von der Aussenwelt abgeschieden blieb - bis ins Jahr 1858, als von den Briten auf der Insel Grossandaman eine Strafanstalt errichtet wurde. Ab diesem Datum liegen vereinzelt Berichte vor, über Versuche der lokalen Behörden, mit den Eingeborenen Kotakt aufzunehmen. In aller Regel wurden Besucher auf den einzelnen Inseln mit Pfeilen empfangen. Gelang es gelegentlich, Negritos im Rahmen einer Strafexpedition einzufangen, starben diese meistens nach wenigen Tagen Gefangenschaft, vermutlich wegen mangelnder Immunabwehr. Mit der Zeit wurde es jedoch möglich, mit einzelnen Gruppierungen Kontakt aufzunehmen und diese zu erforschen. Gleichzeitig schritt die Besiedlung der Inseln durch indische Bürger voran, so dass die Einheimischen immer mehr in Reservate verdrängt wurden, mit der Folge, dass deren Zahl erschreckend rapide abnahm.
Vier Hauptstämme
Vor der Zeit der Kolonisierung lebten die Hauptstämme der Negritos (Grossandamaner, Onge, Jarawas und Sentineler) verteilt auf den verschiedenen Inseln des Archipels. Der Kontakt mit der Zivilisation hat sich für die andamanesischen Ureinwohner als verheerend erwiesen. Von den ursprünglich auf 5'000 geschätzten Grossandamaner lebten zur Zeit der Millenniumwende - auf Strait Island umgesiedelt und von den indischen Behörden mit Nahrungsmittel versorgt - nocht etwa 50 Nachkommen. Dasselbe Schicksal ereilte dem Stamm der Onge, der mit noch ca. 90 Mitgliedern in zwei Reservaten auf Klein-Andaman lebt. Von den Jarawa leben heute noch etwa 300 Mitglieder, nach anfänglichen Kontakten zur Aussenwelt zurückgezogen im Dschungel von Südandaman. Sie pflegen weiterhin ihre traditionelle Lebensweise von Jägern und Sammlern und machen sich durch gelegentliche Scharmützel mit den indischen Siedlern in der lokalen Presse bemerkbar. Einzig den Sentineler ist es bis heute gelungen, unangetastet auf ihrer 72 Quadratkilometer grossen Insel (etwa die Fläche der Stadt Winterthur) zu überleben. Noch heute begrüssen sie Besucher, die sich der Insel nähern, mit einem Pfeilregen. Daher weiss man nicht einmal, welche Sprache sie sprechen oder wie gross ihr Stamm ist; Schätzungen gehen von 100 bis 200 Menschen aus. Anlässlich des Tsunamis vom Januar 2005 wurden die Inselbewohner einer harten Probe ausgesetzt, da sich das Epizentrum des Erdbebens unmittelbar neben der Inselgruppe befand. Während die indischen Siedler zahlreiche Opfer zu beklagen hatte, konnten sich die "Negritos" rechtzeitig in Sicherheit bringen, indem sie instinktiv auf höher gelegene Gebiete flüchteten. Nach dem Erdbeben wurden seitens der indischen Behörden Erkundungsflüge organisiert, um das Ausmass der Verwüstungen auf den verschiedenen Inseln in Erfahrung zu bringen. Einem Hubschrauber der indischen Regierung erbrachten die Bewohner der meist isolierten Insel Sentinel ihr altehrwürdiges Begrüssungsritual: Sie beschossen ihn mit Pfeilen.