ALTERNATIVE GESELLSCHAFTSENTWÜRFE:
"Autonome" Events in Zürich
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Brot & Äktschen (Zürich 2008)
Von 4. bis 6. Juli 2008 fanden im Hardturmstadion Zürich die "Brot&äktschen"-Spiele statt: Ein Wochenende voller nichtkommerzieller, selbstbestimmter, unreglementierter und ausgelassener Spiele, Konzerte und Parties, kulinarischer und künstlerischer Darbietungen. Brot&äktschen" nahm sich einen Freiraum und zeigte auf, dass Grossanlässe auch ohne Sponsoring, absurde Sonderregelungen, 1000schaften von Polizeikräften, Militäreinsätzen und Überwachung durch Drohnen durchführbar sind. Das leer stehende Hardturmstadion wurde mit den "Brot&äktschen"- Spielen neu eröffnet. Mit viel Lebensfreude entstand innerhalb Stunden ein neuer Erlebnispark. Ein selbstverwalteter Begegnungsort für alle! Während den über das ganze Wochenende andauernden Eröffnungsspielen wurden im Hardturm die unterschiedlichsten Disziplinen ausgetragen:
Menschengetriebene Titanengefährte aus Stahl und Traktorreifen schwitzen im Ben Hur-Wagenrennen um die Gunst der Bahn. Nur die mutigsten TischfussballspielerInnen wagten es, im Humen-Life-Kicker (Joggelikasten mit Menschen als Spielfiguren) gegeneinander anzutreten. Live-Bands aus aller Welt, das Kochteam "Mediterrane Küche", die Equipe "internationale Wandgestaltung", Soundsystems und viele mehr sorgten für Unterhaltung.
"Brot&äktschen" stand in der Tradition von Aktionen wie "Reclaim The Streets", "Shantytown" oder "Danslieue". Kultureller Freiraum und Anlässe, die nicht aus kommerzieller Motivation durchgeführt werden, sind in der sauberen Limmatstadt selten geworden. Im Hinblick auf die Euro 2008 haben die Stadt Zürich und andere Austragungsorte bestehende Gesetze aufgehoben und persönliche Grundrechte eingeschränkt, damit Organisationen wie die UEFA Milliardengewinne erwirtschaften. "Brot&äktschen" dagegen sind Spiele für alle und ein klares Statement gegen die Kommerzialisierung des Fussballs und immer mehr öffentlicher Räume. Abgeleitet ist der Name "Brot&äkschen" von "Brot und Spiele"; ähnlich wie im Alten Rom dienen Spiele heute der Kontrolle der Masse und lenken von den gesellschaftlichen und politischen Problemen ab. "Brot&äktschen" versteht sich als Kontrast zum herausgeputzten "wir leben Zürich". Während die Stadtregierung mit Marketingaktionen im öffentlichen Raum eine urbane, weltoffene Stadt propagiert, werden fortlaufend kreative Freiräume verdrängt und günstiger Wohnraum durch Luxuswohnungen ersetzt. Doch wir lassen uns nicht verdrängen!
Danslieue (Zürich 2006)
An der Seepromenade beim General Guisan-Quai entstand mitten in Zürich das Stadtgebilde "Danslieue“. Innert Kürze wurde eine Fassadenstadt hochgezogen - der 13. Kreis von Zürich. Die dazu verwendeten Absperrgitter symbolisierten die zunehmen-den Ein- und Ausgrenzungstendenzen in unserer Gesellschaft. Im Innern schafften wir uns eine heile Welt, die dazu einlädt an ihrer Gestaltung teilzunehmen. Danslieue ist ein Ort, der sich mitten in der Stadt befindet und alle einlädt, sich in ihm drin aufzuhalten und an seiner Gestaltung aktiv teilzunehmen. In Danslieue gibt es offene Foren, ein Info-Café, Verpflegungsstände, eine offene Bühne, ein freies Radio und vieles mehr. Nach aussen hin widerspiegelt die Danslieue-Fassade die gesellschaftliche Tendenz, "Störendes“ auszugrenzen und sich hinter einer scheinheiligen Fassade von Sauberkeit, Sicherheit und Wohlstand zu verschanzen. Die aus Metall, Karton, Tuch und Farbe gestaltete "Skyline des Bürgertums“ hat Risse und zeigt neben Stadttoren, Türmen und Häusern auch Überwachungs-kameras, Absperrgitter und Checkpoints – alles zentrale Symbole der Ausgrenzungsgesellschaft.
Danslieue versteht sich als Protest gegen die zunehmende Ausgrenzung und Kriminalisierung von Menschen sowie gegen die Kommerzialisierung und Totsanierung von Lebensraum in Zürich und der Schweiz. Gesetzesvorlagen, über die das Stimmvolk demnächst abzustimmen hat, drohen diese unmenschliche Situation massiv zu verschärfen. Wir lehnen das Asyl- und Ausländergesetz ab, ebenso das neue Polizeigesetz im Kanton Zürich. Wir kritisieren die Räumung von besetzten Häusern (wie kürzlich an der Jenatsch-Strasse geschehen und vielleicht schon bald an der Stampfenbachstrasse). Mit dem Bau von neuen Büroghettos wie dem "Stadtraum HB“ wird die Stadt totsaniert. Wir verstehen Danslieue als aktiven Beitrag zur aktuellen stadt- und gesellschaftspolitischen Diskussion. Danslieue, das ist unschwer zu erkennen, spielt mit dem französischen Wort "Banlieue“. Unter Banlieue – dt. Bannmeile - versteht man allgemein jenen riesigen, durch grosse soziale Unterschiede geprägten Vorstadtgürtel, in denen diejenigen Menschen leben, welche in der auf Standort-Wettbewerb und Rendite ausgerichteten Stadt keinen Platz haben, respektive von der Gesellschaft ausgegrenzt, kriminalisiert und abgeschoben werden. Unsere Danslieue ist eine Umkehrung dieses Begriffs. Wir versuchen, den aktuellen negativen Entwicklungen in der Stadt entgegen zu wirken, indem wir diese in all ihrer Konsequenz in Szene setzen.
Shantytown (Zürich 2005)
Für kurze Zeit entstand im Sommer 2005 am Sihlufer, mitten in der Stadt Zürich vor der neuen Börse eine Shantytown. Die illegale Siedlung mutierte zum Ausgehtipp Nr. 1 der Zürcher Bohème. Am Freitag, 29. Juli gings los. Emsiges Treiben. Innert kürzester Zeit wurden aus allen Richtungen Bretter ans Shil-Ufer geschleppt. Wie aus dem Boden gestampft, stellten junge Leute eine Barackensiedlung auf. "Ihr müsst weg!" meinte die Polizei. Doch der Aufbau von Shantytown ging unbeirrt weiter. Da vor dem Nationalfeiertag keine Ausschreitungen erwünscht waren, griff die Polizei nicht ein. Shantytown, Zürichs erste Barackensiedlung, entstand: Eine Konzertbühne, eine Bar, eine "Kirche", ein 4-stöckiger Turm und viele weitere Holz-Baracken. Sogar eine eigene Zeitung wurde produziert und ein eigener Sender lieferte "Shanty-Sound." Am Abend wurde die neue Siedlung von den jungen Leuten überflutet: Das ganze Ufer war rammelvoll mit Zürcherinnen und Zürchern, die offensichtlich ihren Spass an den "Slums" hatten. Kein Eintritt, an der Bar günstige Preise, auch ein feines Pizzastück gab's für nur 2 Franken. Es wurde getanzt und diskutiert. Es herrschte gute Stimmung. Kein Wunder, war auch an den folgenden Abenden das Sihlufer einer der heissesten Ausgeh-Tipps. Am Dienstag, 2. August war der Nationalfeiertag und damit auch die Geduld der Polizei am Ende. Die Shanty-Bewohner mussten ihr Dorf abreissen. Sie reinigten den gesamten Uferbereich und vermachten dem ERZ das zerlegte Shantytown.
Auch wenn es einige Besucher vor lauter Party nicht mitbekommen haben mögen: Shantytown war eine Demonstration gegen die Politik der Stadt. Shantytown versteht sich als Kontrast zur aktuellen Stadtentwicklung und zum herausgeputzten "Global Zurich", meinen deren Erbauer, eine Gruppe, die zuvor auch als Hausbesetzer von sich reden gemacht haben. Es sei eine Reaktion auf die Schliessung verschiedener Treffpunkte der Zürcher Subkultur (wo man auch selber Getränke mitbringen dürfe und keinen Eintritt bezahlte) und das restriktivere Vorgehen gegen besetzte Häuser. Doch auch andere "ausgrenzende Tendenzen" werden verurteilt.

