ALTERNATIVE GESELLSCHAFTSENTWÜRFE:
Mexiko: Aufstand der Zapatisten in Chiapas
Nachdem sie mit Demonstrationen, Petitionen und dem Aufbau von sozialen Organisationen jahrzehntelang vergeblich auf ihre miserable Situation als indigene Bevölkerung aufmerksam gemacht hatten, begannen die Zapatistas am 1. Januar 1994 im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas ihre Rebellion. Zwei Wochen lang kämpfen sie bewaffnet für "Land und Freiheit", gegen den mexikanischen Staat, der für sie nur Hunger, Unterdrückung und Tod zu bieten hatte. Sie besetzten Ländereien von Grossgrundbesitzern und verteilten den Boden an Tausende Familien. Der Aufstand der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN richtet sich gegen Ausbeutung, Rassismus und Marginalisierung der indigenen und ländlichen Bevölkerung durch die Herrschaft der Grossgrundbesitzer und der politischen Funktionäre. Im Zuge des Aufstands organisierten sich auch die Frauen, um für eine Verbesserung ihrer Situation zu kämpfen.
Die Zapatistas und die gesamte indigene Bewegung fordern die Anerkennung indigener Rechte und einen Autonomiestatus innerhalb Mexikos für ihre Gebiete. Darüber hinaus fordern die Zapatistas, die sich als konsequent basisorientierte Bewegung verstehen, eine radikale Demokratisierung der gesamten Gesellschaft und eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik. In ihren Gemeinden arbeiten sie unter grossen Mühen am Aufbau eigener Strukturen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verwaltung, Recht und Ökonomie. Es ist ein wichtiges Charakteristikum der zapatistischen Bewegung, dass jeglichen AmtsträgerInnen die Stimmen stets nur "geliehen" sind, d.h. sie können sofort ersetzt werden, wenn sie ihre Aufgabe nicht zur Zufriedenheit der Basis erledigen. Da die Zapatistas keinerlei Regierungsunterstützung annehmen, wird ihre Rebellion vor allem von unentlohnter Kollektivarbeit in den eigenen Gemeinden sowie von solidarischen Gruppen getragen.
Die mexikanische Regierung und EZLN hatten 1996 die Abkommen von San Andres über indigene Selbstverwaltung unterzeichnet, doch die Regierung unter Ex-Coca-Cola-Manager Vicente Fox setzte die Verträge nicht um, so dass die Zapatistas nun ohne “Erlaubnis” Fakten schaffen. Die Zapatistas und viele andere soziale Bewegungen wenden sich seit Jahren gegen aufoktroyierte neoliberale "Entwicklungsprojekte" wie den Plan Puebla Panama (PPP), der die Interessen der benachteiligten Bevölkerung - trotz anderslautender Lippenbekenntnisse der Regierung - missachtet. Der PPP ist ein wirtschaftliches Mega-Projekt für Südmexiko und Zentralamerika, das von der mexikanischen Regierung vorangetrieben wird und das den transnationalen Unternehmen hohe Gewinne verspricht. Doch die Elemente des Projektes wie Staudämme, Infrastruktur-massnahmen, Billiglohnfabriken (Maquiladoras), industrielle Shrimpszucht und die gleichzeitige Militärisierung der Zone bringen schwerwiegende Folgen für Bevölkerung und Umwelt mit sich. Bis heute reagieren die Regierung und die lokalen Machthaber mit Desinformation, Repression und Gewalt auf die Forderungen der zapatistischen Bewegung. Die EZLN sieht ihren Aufstand in einem weltweiten Kontext und rief bereits 1996 zur Bildung einer "Internationalen der Hoffnung" auf, um gemeinsam und gleichberechtigt mit anderen Bewegungen weltweit gegen die negativen Auswirkungen der ökonomischen Globalisierung für eine solidarische Gesellschaft und den Erhalt der Natur zu kämpfen. Ihr "YA BASTA!" ("Es reicht!") gibt seit 1994 vielen Menschen auf der ganzen Welt Kraft und Hoffnung und beweist, dass emanzipatorischer Widerstand möglich ist.
Aktuelle Entwicklungen
Der Kampf der Zapatistas für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit hält bis heute an. Im Sommer 2005 starteten sie ihre neueste Initiative, die sie in der "Sechsten Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald" bekannt gaben: Ziel der neuen Initiative, die in Abgrenzung zu allen politischen Parteien "Die Andere Kampagne" genannt wird, ist die Erarbeitung einer neuen Verfassung. In einer gemeinsamen jahrelangen Mobilisierung sollen verschiedenste unabhängige Organisationen "von unten und für unten" ein ausserparlamentarisches Linksbündnis aufbauen, um eine neue "wirklich linke und antikapitalistische Alternative" zu schaffen (EZLN). Verschiedene BeobachterInnen betrachten diese Initiative als durchaus schwierig und risikoreich, viele andere betonen, dass diese basisdemokratische Mobilisierung ein historisches soziales Experiment von globaler Bedeutung ist. In Mexiko haben sich bereits über 1.000 Organisationen der "Anderen Kampagne" angeschlossen...

