
Anandamayi Ma’s Kheyal
Ein irischer Journalist fragte Ma einmal: „Was ist der Zweck Deines Lebens in dieser Welt?“ Ma antwortete: „In ‚dieser’ Welt? Ich bin weder ‚hier’ noch ‚da’ oder ‚in dieser Welt’. Ich Selbst ruhe in mir Selbst.“
Wenn jemand Sie einen Guru nannte, sagte Sie, Sie sei nur ein kleines Mädchen und sei durch das Selbst bereits mit allen verbunden. Sie organisierte keine Vorträge oder Reisen, sondern handelte und antwortete auf Fragen stets nur aus Ihrem „Kheyal“ heraus. ,,Kheyal“ ist ein spontaner Impuls aus einer Art überbewussten Intuition, der in keinster Weise einem eigenen Willen oder Wunsch entspringt, sondern mit unfehlbarer Sicherheit auf die bewussten oder unbewussten Bedürfnisse der Menschen in der Umgebung reagiert. Dies ist ähnlich wie bei einigen anderen Verwirklichten oft nicht mit dem oberflächlich urteilenden Verstand zu begreifen und verlangt große Wachheit von den Devotees, die sich ernsthaft dem wahren Selbst nähern wollen.
Ma ließ keine übermäßige Verhaftung an Ihre Person zu. Sie reiste oft und unvorhergesehen. Öfter schickte Sie auch Devotees zum Sadhana in die Abgeschiedenheit fort. Sie forderte liebevoll, aber bestimmt und kontinuierlich das Ego der ernsthaft Suchenden heraus.
Anandamayi Ma’s Antworten im Satsang waren meist individuell an den jeweiligen Bewusstseinszustand des Fragestellenden gerichtet. Sie empfahl nicht jedem, dem Leben in der Welt zu entsagen, sondern gab auch konkrete Anweisungen, wie man ein spirituelles Leben in Familie und alltäglicher Arbeit führen kann und sich auf dem jeweiligen individuellen Weg Gott und damit dem eigenen wahren Selbst nähern kann. Jeder Mensch sollte jedoch seinem einmal erwählten spirituellen Weg aufrichtig folgen und wahrhaft lebendige spirituelle Erfahrung anstreben.
„Gott ist überall und kann überall gefunden werden. Ein Heim ist auch ein Ashram, nämlich der Ashram des Hausvaters. Die Menschen gehen in einen Ashram oder sitzen in Einsamkeit an den Ufern des Ganges, nur um zu erkennen, dass Gott überall ist, dass Grenzen nicht wirklich existieren, sondern nur im Denken. jeder sollte die Lebensweise wählen, die seine Suche am meisten unterstützt.“ „Wenn deine Suche aufrichtig ist, dann wird Gott auch dafür sorgen, dass alle anderen Umstände günstig werden.“ Ihre Lehre war durch außergewöhnliche Universalität gekennzeichnet. Ma vereinigt alle Philosophien, Lehren und Yogamethoden in sich. „Ich habe keinen besonderen Weg“, sagte Sie. „Alle Wege sind meine Wege.“ Sie empfahl jedoch jedem ohne Ausnahme, eine bestimmte Zeit täglich zu meditieren, selbst, wenn man viel zu tun habe, und „immer ein Stück Kandis (Gottes Namen) im Mund zu haben“. Ein Friede, den der Verstand nicht fassen kann, strahlte von Ihrem ganzen Wesen aus. Oft hörte man von Ihr: „Jo hojaya – Was immer geschieht ist gleichermaßen willkommen.“
Der Kern Ihrer Lehre lautete in endlosen Variationen: „Die höchste Berufung eines Menschen besteht darin, nach Selbstverwirklichung zu streben. Alle anderen Verpflichtungen sind zweitrangig.“ „Ein Mensch, der für weltliche Güter und Befriedigung arbeitet, arbeitet für den Tod. Denn alles von dieser Welt stirbt ständig und macht etwas anderem Platz – so wie das Kind stirbt und ein junges Mädchen wird usw. Aber jemand, der nach Selbsterkenntnis strebt, arbeitet für die Unsterblichkeit. Wenn man in der Welt lebt und arbeitet und mit weltlichen Menschen verkehrt, werden die eigenen schöpferischen Energien durch das Verlangen nach Sinnesobjekten aufgebraucht, und deshalb fühlt man sich manchmal schwach, müde oder krank. Strebt man jedoch nach Selbsterkenntnis, so erhält und stärkt man seine schöpferische Energie dadurch. Während eine Person, die in der Welt lebt, Vergnügen an Gesellschaften, Besuchen usw. hat, wird derjenige, dessen Ziel Selbstverwirklichung ist, große Freude an der Meditation finden, am Singen von Gottes Lobpreis, am Lesen von Büchern der Weisheit, am Hören religiöser und philosophischer Vorträge und am Umgang mit jenen, die Pilger auf dem spirituellen Weg sind.“
Durch Ihr Dasein und Ihre Worte richtete Sie die Aufmerksamkeit der Suchenden stets auf DAS, was allein IST. „Bhagavat Smaran“: ,,Vergegenwärtige dir IHN bei jedem Atemzug, werde dir bewusst, was du in Wirklichkeit bist". „Der Mensch webt wie die Spinne Netz und Netz und tut sein Bestes, um darin verstrickt zu bleiben, durch alle Ewigkeit hindurch. Verfangen in den Anziehungen der Sinne und in Täuschung hält er nicht einmal inne, um zu reflektieren, wie quälend doch die immer wiederkehrende Aktion und Reaktion von Geburt und Tod ist. Entscheide endgültig und ein für alle mal, dass die Fessel des Karma mit dem jetzigen Leben enden muss, und sammle wie ein Kriegsherr alle deine Kräfte in der verzweifelten Anstrengung, den Schleier der Maya zu zerreißen; oder anders, ergebe dich wie eine bedrängte Garnison dem Allmächtigen, und überantworte dich selbst bedingungslos Seiner Gnade und Er Selbst wird sich um alles kümmern.“
Der Vogel im Flug
„Dieser Körper gleicht einem Vogel im Flug. Er sitzt eine Weile auf irgendwelchen Zweigen, wie sein Kheyal es will, und dann erhebt er sich wieder in die Lüfte ... Ihr sprecht von Ashrams, in denen ich wohnen soll, aber für diesen Körper ist die ganze Welt nichts als ein Ashram!“ Anandamayi Ma bereiste über 50 Jahre lang den indischen Subkontinent. Ihre Schüler errichteten über 30 Ashrams in Indien. Millionen Inder und Hunderte von westlichen Besuchern hatten Ihren Darshan. Sie unterstützte die religiöse Tradition Indiens „Sanatana Dharma“ und die Anweisungen der heiligen Schriften. Die alte Tradtion der vedischen Feueryajnas erfuhr unter Ihrer Leitung eine neue Belebung, vor allem durch das Savitri Yajna in Benares (1947 – 1959) und das Atirudra Yajna in Kankhal (1981). Ma förderte das Rezitieren und Singen von Mantras (Kirtan), und Ihr eigenes Singen versetzte viele Zuhörer in Ekstase.
Die Glückselige Mutter wurde anerkannt und geliebt von Moslems, Christen, Parsen, Sikhs, Jains, Hindus, Buddhisten und Menschen anderer oder keiner speziellen religiösen Ausrichtung. Ob einfache Leute vom Lande oder die gebildete Mittel- und Oberschicht, alle fühlten sich spontan zu Ma hingezogen. Jeder konnte in Ihrer göttlichen Gegenwart tiefen inneren Frieden finden und eine Art „nach-Hause-kommen“ erfahren. Sie verkörperte eine vollkommen mühelose Perfektion in Ihrer Wesenheit. Auch viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Indira Gandhi, Richard von Weizsäcker und (Karl) Graf Dürckheim besuchten Sie und lauschten gebannt Ihren spontanen Antworten, die ohne Umschweife direkt den Kern des Problems, die Herzen der Fragesteller trafen und von tiefer Weisheit waren. Auch Krishnamurti und Maharishi Mahesh Yogi begegneten Ma. Swami Shivananda sagte einmal über Sie: „Sie ist die vollkommenste Blume, die der indische Boden jemals hervorbrachte.“
Devotees gründeten die Shree Shree Anandamyee Sangha mit heutigem Sitz in Benares. Dort werden auch Bücher über Ma und die vierteljährliche Zeitschrift „Ma Anandamayee – Amrita Varta“ herausgegeben.
Atmananda, eine Österreicherin, die ihr halbes Leben bei Ma verbrachte und einen bedeutenden Beitrag zur Übersetzung und Publikation von Ma’s Aussagen leistete, schreibt in Ihrem Tagebuch: „Die erste Geburtstagsfeier von Ma, an der ich teilnahm, fand 1951 in Ambala statt, wenige Monate nachdem ich Sie zum ersten Mal gesehen hatte. Bei der Tithi Puja saß ich sogar in Ihrer Nähe. Sie lag, wie üblich bei solchen Anlässen, auf einer Bettstelle und schien dieser Welt weit, weit entrückt. Ich dachte, Sie sei im Nirvikalpa Samadhi und schaute Sie mit dem Gedanken ‚Ma ist von uns fortgegangen!’ traurig an. Während dieser Gedanke mir immer wieder durch den Kopf ging, erwachte Ma, setzte sich auf und öffnete Ihre Augen. Ihr erster Blick fiel gerade auf mich. Es war ein langer, tiefer, bedeutungsvoller Blick, dem ich ganz klar entnahm: „Nein, ich bin nicht von Dir fortgegangen; ich bin immer bei dir, ganz ganz nah bei dir!“
Mahasamadhi
„Noch vor irgendeiner Schöpfung, Erhaltung oder Zerstörung der Welt existiere ich. Ich bin sowohl bedingt als auch unbedingt, ich bin weder begrenzt noch unbegrenzt, ich bin beides gleichzeitig. Und in alle Ewigkeit, wie sich der Tanz der Schöpfung um mich herum auch verändern mag, werde ich die Gleiche sein.“
Am 27. August 1982 fand das „Matri Lila“, das „Göttliche Spiel“ hier auf der Erde ein (physisches) Ende. Anandamayi Ma verließ im Alter von 86 Jahren im Kishenpur-Ashram in Nord-Indien (Dehra Dun) Ihren Körper und ging in Mahasamadhi.
„Nehmt an, einige Leute gehen im Meer baden und beschließen, allen anderen voraus zu schwimmen – daraus folgt, dass sie zurückschauen müssen. Aber für den, dessen einziges Ziel der Ozean selbst ist, gibt es niemanden, um dessentwillen er zurückschaut oder besorgt ist, und dann geschieht, was geschehen soll. Gib dich der Welle hin und du wirst von der Strömung aufgenommen werden. Der Ewige Selbst ist die Welle, die den Strand überflutet, um dich fortzutragen. Wer sich selbst für diese Ziel aufgeben kann, wird von Ihm angenommen. Aber wenn deine Aufmerksamkeit auf den Strand gerichtet bleibt, kannst du nicht weit kommen und wirst nach dem Baden zurückkehren. Wenn dein Ziel das Höchste, das Endgültige ist, wirst du vom Strom deiner wahren Natur geführt werden. Es gibt Wellen, die zurückziehen. Diejenigen, die sich hingeben können, wird Er zu sich nehmen. In Form der Welle streckt Er Seine Hand aus und ruft euch: Kommt, kommt, kommt!“
Der Hauptashram mit dem Mahasamadhi-Schrein befindet sich in Hardwar (Kankhal) der heiligen Pilgerstadt am Ganges unweit von Rishikesh. Besucher sind dort willkommen und können in dem neuen „Shree Shree Ma Anandamyee International Centre“ direkt neben dem Tempel gut unterkommen. Ein Aufenthalt ist auf Anfrage mit Voranmeldung an folgende Adresse möglich: Shree Shree Ma Anandamayee Internation Centre, The Manager, Daksh Mandir Road, P. O. Kankhal, Distr. Hardwar, Pin 249408, (U.P.) INDIA
von Sita Devi B. Gottschalk